Im Archiv der HandWritingBiblio haben wir kürzlich einen kuriosen und sehr amüsanten Bücherfund gemacht und zwar über die Beschreibung und graphologische Analyse eines Weiberschmeckers. Das 1909 veröffentlichte Buch trägt den Titel „Auf Irrwegen der Liebe – Graphologische Betrachtungen“ und wurde von der Autorin Elsbeth Ebertin verfasst. Neben der ausführlichen Darstellung der Homosexualität in der Handschrift als „Irrweg #1“ stellt sie als „Irrweg #3“ die „Weibstollheit“ dar. Was meint sie damit?
Die Bayerin kennt einen solchen Mann sehr gut: Der Weiberschmecker, zu Hochdeutsch: Schürzenjäger, Weiberheld oder Don Juan. Was kennzeichnet den Weiberschmecker? Er ist ständig auf Liebesabenteuer aus, immer auf der Suche nach neuen erotischen Beziehungen. Kann man diesen Mann vielleicht schon erkennen, bevor man auf ihn reinfällt? Laut Ebertin ist das möglich. Man betrachte einfach die Handschrift des Betreffenden.
Schriftmerkmale des Schürzenjägers oder Weiberschmeckers
Welche typischen Schriftmerkmale wird man in der Handschrift eines Weiberschmeckers erkennen? Ohne nähere Definition der Schriftmerkmale zeigt Ebertin in dem weiter unten abgedruckten Originalkapitel an einem einzigen Beispiel folgende relevante Merkmale auf, die alle samt dafür sprechen, dass die bei solchen Männern die „erotische Passioniertheit kaum einen vernünftigen Gedanken neben sich aufkommen lässt“:
- Schuljungenschrift
- Mangel an ruhigen, männlichen, würdevollen Zügen
- Erotisches Größenverhältnis zwischen Kurz- und Langzügen
- Unsauberer, ungepflegter Eindruck, da mit schlechter Feder und faseriger Tinte geschrieben
- Fußelige Handschrift aufgrund der Art der Federhaltung
- Hoch hinaufgeworfene U-Bogen
- Ineinandergreifen der einzelnen Schriftzüge
Wie schön, dass die Handschriftanalyse im Jahr 1909 so leicht verständlich war und mit so wenigen Belegen auskam. Auch heutzutage gibt es leider vereinzelt immer noch einige Negativbeispiele in der Manier Ebertins, die für ein breites Publikum alltagspsychologische „Graphologie-Kochbücher“ verfassen, damit sie im „Do-it-yourself-Stil“ anhand von ein paar Einzelmerkmalen schnell herausfinden können, ob sie beispielsweise ihren Traumpartner gefunden haben. Zum Glück sind psychologisch gebildete Handschriftanalytiker von solchen Methoden weit entfernt. Warum?
- Empirische Erhebungen vermengen nicht gesellschaftliche Ideologie mit Moralurteilen. Dementsprechend wurden Merkmale mit derart moralisch überformten Werturteilen ausgemistet. Von „Ebertin-Schriftmerkmalen“ existiert heute nur noch das Merkmal „Ineinandergreifen der einzelnen Schriftzüge“.
- Einzelschriftbeispiele dienen nicht als Argumentationsgrundlage und werden nicht als repräsentativ erachtet.
- Einzelmerkmale sind nicht ausreichend zur Analyse von Persönlichkeitseigenschaften.
- Genaue Definition der Schriftmerkmale.
- In Orientierung an den Erkenntnissen aktueller psychologischer Erkenntnisse sind heutige Kausalattribuierung weniger „küchenpsychologisch“. Moderne schriftpsychologische Modelle beachten z. B. motivationspychologische Modelle und die damit verbundenen interindividuellen Unterschieden in der Klassifikation verschiedener, handlungsleitender Ursachen.